Der gesundheitsfördernde Ansatz der Waldorfpädagogik
Ein Aufsatz von Dr. Jürgen Möller Kinderarzt und Jugendpsychiater, anthroposophischer Arzt. Geb. 1942 in Hamburg, aufgewachsen teilweise in Hannover und Umgebung, als Student in Europa Helfender für Aufbauhilfe nach Kriegen und Katastrophen, Arbeitsort war unter anderem die Ita-Wegman-Klinik in Arlesheim bei Dornach in der Schweiz und er war beim Aufbau in der Filderklinik in Stuttgart tätig!
Hier nun einer von mehreren Texten, die von ihm verfasst und mir zur Verfügung gestellt wurde:
Der gesundheitsfördernde Ansatz der Waldorfpädagogik
Der Grund, warum Eltern ihre Kinder auf die Waldorfschule schicken, ist sehr unterschiedlich und vielschichtig. Als mein Bruder Gert (* 1943) und ich (* 1942) im Jahre 1955 auf die Freie Waldorfschule in Benefeld kamen, waren wir schon drei Jahre in der Waldorfschule Hannover gewesen. Diese war nach dem Kriege im wesentlichen auf eine Initiative von Rene Maikowsky wieder eröffnet worden. Maikowsky ging dann wenige Jahre später als Gründungslehrer nach Benefeld. Unsere Eltern schickten uns aus mehr äußeren Gründen auf die Waldorfschule: Nähe zur Wohnung, „spielerisch lernen“ sollte man dort, und es war auf dem Gelände am Maschsee ein kleines Schwimmbad, das letztlich den Ausschlag gab für die Wahl dieser Schule. Von dem Hintergrund der dort gepflegten Pädagogik (christliche Schule, Anthroposophie) hatten unsere Eltern keine Ahnung, und wir als Schüler auch nicht, bis in die Oberstufe hinein, da unsere Lehrer uns nicht missionieren und zu Anthroposophen machen wollten, so habe ich es jedenfalls erlebt.
Eines der Hauptanliegen der Waldorfschule ist, die Kinder leiblich, seelisch und geistig gesund zu erhalten. Dies mag erstaunen, ist doch Gesundheit landläufig kein eigentlicher Begriff der Pädagogik, und Rudolf Steiners pädagogischer Ansatz ist immer noch der einzige, für den Gesundheitsförderung ein Hauptanliegen ist, so dass bis in die Unterrichtsmethodik darauf Rücksicht genommen wird. Gesundheitsförderung erschöpft sich nicht in flankierenden Einzelmaßnahmen – nach dem Motto, ein bisschen Kunst und ein bisschen Musik mag das Gemüt bilden, Stricken die Geschicklichkeit fördern, Sport den Körper etc. - , sondern hier wird sie zum Ziel- und Kernpunkt der Erziehungskunst, hier durchzieht sie das alltägliche Leben der Schule: Lehrplan, den Aufbau des Unterrichts (Rhythmischer Teil- Lernteil- Erzählteil), die Stoffauswahl und –abfolge, die Art der Lehrmittel, die Gestaltung der Zeugnisse, die Architektur und die Sozialgestalt der Schule. Alles basiert auf gesundheits- und entwicklungsfördernden Gesichtspunkten und hat eine den ganzen Menschen umfassende Menschenkunde zur Grundlage.
Ist Waldorfpädagogik Reformpädagogik?
Zwar entstand die Waldorfpädagogik nach dem Ersten Weltkrieg, einer Zeit, in welcher Reformbewegungen Hochkonjunktur hatten. Sie hatte das Ziel einer Erneuerung des Bildungswesens, als Gegenbewegung zum verkrusteten bürgerlichen Leben zu mehr Kindgemäßheit hin, zu Jugendlichkeit und Naturnähe, wollte Rudolf Steiner eine Reform zu einer vertieften spirituellen Grundlage der Erziehung mit Einbezug des ganzen Menschen. Man kann sich diese Aufgabe angesichts des Materialismus der damaligen Zeit nicht gewaltig genug vorstellen; sie war mehr als eine reformpädagogische Bestrebung. Eine Reform des allgemeinen Kulturerlebens: die Erneuerung von Wissenschaft, Kunst und Religion auf einer vertieften spirituellen Grundlage war ins Auge gefasst, wie auch für zahlreiche andere relevante Lebensfelder, wie Medizin, Pharmazie, Landwirtschaft, bildende Kunst und Architektur, Sozial- und Wirtschaftswissenschaft und die Heilpädagogik.
Eine pädagogisch gute Schule basiert letztlich doch immer auf gesundheitsfördernden und entwicklungsorientierten und deshalb heilenden Zielen. Aber nicht in erster Linie kranke oder gestörte Kinder waren ins Auge gefasst bei der Konzipierung der Waldorfschule, sondern durchaus gesunde. Nicht eine irgendwie geartete Heilanstalt sollte diese Schule werden. Wenn deshalb von Erziehen und Unterrichten als einem Heilen gesprochen wird, dann ganz offensichtlich nicht im Sinne einer Therapie von Störungen, sondern eindeutig als Pflege und Unterstützung der gesund erhaltenden Kräfte im Kind. Die Frage ist also nicht: Wie kuriere ich gestörte oder kranke Kinder?, sondern: Wie kann ich die Arbeit so gestalten, dass die Kinder durch den Unterricht in ihrem gesunden Kräften gestärkt werden, sich gesund entwickeln und zu freiheitsfähigen Menschen werden? Eine Dissertation an der Universität Bielefeld hat kürzlich nachgewiesen, dass die Pädagogik Rudolf Steiners die bisher radikalste und weitreichendste gesundheitsfördernde Pädagogik darstellt (Zdrazil 2000)
Ist Waldorfpädagogik veraltet?
Lange Zeit galt die Waldorfschule bei gewissen Kritikern als ein Lernort für intellektuell minderbegabte Kinder von finanziell höher begabten Eltern. Diese Meinung ist inzwischen längst widerlegt. Waldorfschüler stehen im öffentlichen Leben „ihren Mann“ oder „ihre Frau“, sei es in Wissenschaft, Kunst und Kultur. Dennoch gibt es alle paar Jahre Wellen von Gegnerschaft, zum teil seitens ungenügend recherchierender Journalisten (Rassismusvorwurf; ökologische Nische) oder den Einwand, es handle sich um eine „Weltanschauungsschule“, der etwa in Frankreich sogar gerichtlich erklärt werden musste, da dort Waldorfschulen im Zuge staatlicher Anti-Sekten-Kampagnen von der Schließung bedroht waren. Alle diese Vorwürfe konnten entkräftet werden. Mittlerweile erweist sich das Konzept der Steiner-Pädagogik als nicht „von gestern“, sondern als „von heute“ oder sogar „von übermorgen“, da vieles in ihm Angelegte noch gar nicht richtig entwickelt werden konnte.
In einer heute in Natur- und Geisteswissenschaft üblichen Prägung liegen mittlerweile auch Konzepte vor, die den Ansatz der Waldorfpädagogik sehr stark stützen – Es handelt sich dabei um Konzepte der offiziellen Wissenschaft der letzten zwanzig Jahre, welche zur Zeit der Entstehung dieser Pädagogik (1919) bei dem damals herrschenden Positivismus und Materialismus noch nicht denkbar waren. Offenbar nähern sich die Ergebnisse der offiziellen wissenschaftlichen Forschung immer mehr diesem Menschenbild an, indem subtiler vorgegangen wird und auch ein Einbezug des Seelischen und Geistigen des Menschen stattfindet.
Gerade angesichts der anwachsenden Probleme im Schulwesen, mit Lernunlust, Gewalt und Drogensucht, wird die Suche nach tragfähigen Konzepten mit Einbezug des ganzen Menschen wieder aktuell. Der Stellenwert kognitiver Leistungen gewinnt gegenwärtig ja zunehmend wieder an Gewicht, auch die Frage wie die Schüler kompetent für die Wirtschaftswelt gemacht werden, steht als Lernziel ganz oben an. Die Folge davon ist die Aufmerksamkeit und Publizität, die internationale Vergleichsstudien wie PISA genießen. Man steht unter dem Eindruck, dass dem Erreichen schulischem Wissensstandards eine ähnliche Tragweite beigemessen wird wie es Kapitalanleger den Börsenkursen gegenüber tun:
Sie sind eine Messgröße für den Erfolg des Unternehmens und entscheiden über das weitere Fortkommen im internationalen Wettbewerb. Auch die Vorstellung von der Verträglichkeit von Mensch und Computer hat in vielen Lehrplänen und methodisch-didaktischen Konzepten längst nachhaltig Niederschlag gefunden. Da die Gehirnstrukturen bereits in der frühen Kindheit ausreifen, nimmt man an, dass Kinder, die frühzeitig mit Computern, Videogeräten etc. umgehen, auch die entsprechenden Hirnvernetzungen ausbilden und damit eher „arbeitsweltkompatibel“ werden als Kinder, denen dies alles fehlt.
Es gibt aber begründete Vermutungen, nach denen die Informationsgesellschaft ihren Höhepunkt bereits überschritten hat und sich eine neue Entwicklung anbahnt, in der etwa wieder mehr auch die Frage nach der persönlichen Bindung von Lehrer und Schüler Beachtung findet, so dass es wieder mehr darum gehen wird, einen ganzheitlichen Blick auf den Schüler und auf den Umgang mit ihm zu pflegen. Begriffe wie Schulethos und Schulatmosphäre sind langsam wieder „in“! Sie atmen eine humanitäre Stimmung, sie scheinen veraltet, erfahren aber wieder Wertschätzung.
Wie auch immer die zukünftige Entwicklung laufen wird, so zeichnet sich doch in unserer Gegenwart eine Situation ab, die für immer mehr Menschen zur existenziellen Bedrohung wird, so dass die Pädagogik ein heilender Faktor sein kann.
Gesundheitliche Situation von Kindern und Jugendlichen
Überblickt man die Entwicklung der gesundheitlichen Situation in den letzten Jahrzehnten, kommt man nicht umhin festzustellen, dass sie einhergeht mit drastischen Veränderungen in der Lebenswelt. Diese sind gekennzeichnet durch steigende Hektik, Ruhelosigkeit, durch Stress als Folge einer chronifizierten Forderung nach ständiger Leistungsbereitschaft, sowie durch eine steigende Überflutung mit zusammenhanglosen Informationen und Sinnesreizen. Die Lebenswelt ist eine ständige Aufforderung zu erhöhter und immer wieder wechselnder Aufmerksamkeit und zu einer permanenten Antriebssteigerung. Wir leben in einer Welt, welche Hyperaktivität und ständigen Wechsel der Aufmerksamkeit zum Normalfall macht.
Anstelle fiebriger Kinderkrankheiten treten viele unspezifische Leiden auf: Nervosität, motorische Unruhe, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, Schlaf- und Essstörungen. Auch Allergien treten seit den 1950er Jahren doppelt so häufig auf, als zuvor. Heute ist rund jedes dritte Kind davon betroffen. Dazu kommen vermehrt psychosomatische Leiden wie Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen. Entsprechend ist auch der Umgang mit Medikamenten. Schätzungsweise greifen rund ein Drittel aller Zwölfjährigen mindestens einmal wöchentlich in den Medikamentenschrank der Eltern, weil sie Schmerz, Beruhigungs- oder Aufputschmittel brauchen. Eine Untersuchung im Schweizer Kanton Zürich ergab, dass insgesamt 22, 5 % der Kinder und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter eine oder mehrere psychische Störungen oder Verhaltensauffälligkeiten nach klinischen Kriterien aufweisen. Typische Störungsbilder sind: Hyperkinese, Störungen des Sozialverhaltens, Teilleistungsstörungen, Angststörungen, Depressionen, Aggressionen. Eine Zunahme der Störungen von Haltung und Skelett aufgrund des Bewegungsmangels, wie auch Fettsucht sind weitere Probleme, die im Zunehmen begriffen sind. Ungefähr jedes achte deutsche Kind zeigt Sprachauffälligkeiten, etwa jedes fünfte Kind weist einen übermäßig starken Bewegungsdrang auf. Rund 47 % der Elf- bis Vierzehnjährigen waren 1995 förderungsbedürftig; 1986 waren es lediglich 16 %. Das bedeutet: innerhalb von zehn Jahren erfolgte eine Verdreifachung dieser Entwicklungsdefizite. Alle diese Symptome deuten auf ein defizitäres Leibverhältnis hin und können als direkte Folge mangelnder frühkindlicher Bewegungs- und Sinnesaktivität interpretiert werden. Schulen mit der einseitiger Betonung kognitiven Wissens tragen das ihre dazu bei.
Kernbereiche der Pädagogik Rudolf Steiners
a) Künstlerischer belebender Unterricht
b) Ansprechen aller 12 Sinne
c) Wesensgliederkunde
d) Dreigliederung des Menschen
e) Rhythmen des Menschen
f) Biographische Psycho-Physiologie „Jahrsiebte“
g) Verbindender pädagogischer Ethos
h) Religiöse Grundhaltung als sinnstiftender Aspekt
i) Schulorganisatorischer Rahmen
Es sollen im Folgenden dargestellt werden, hiervon skizzenhaft einige wichtige Bereiche, die als charakteristisch für die Pädagogik Rudolf Steiners gelten können. Sie zeichnen sich nicht nur aus durch ihre Originalität zur damaligen Zeit, sondern in erster Linie dadurch, dass sie durchweg von gesundheitsfördernder Bedeutung sind.
a) Künstlerischer belebender Unterricht
Der künstlerische Unterricht gehört zu den Kernforderungen der Steiner-Pädagogik.
Ausdrücklich ist aber nicht von „Kunst im Unterricht“ oder von Kunstunterricht die Rede, sondern vom Künstlerischen als einer besonderen Qualität in der Gestaltung des Unterrichts. Nicht um eine musische, dekorative Auflockerung des sonst ungenießbaren Unterrichtsinhaltes handelt es sich. Das Künstlerische ist hier die Unterrichtsmethode selbst. Es bedeutet die Art und Weise, wie lebendig, d.h. Originell, präsent vorgegangen wird vom Lehrer, dass das konkret Vorliegende der Kinder und der Inhalte in seiner momentanen Entwicklungsfähigkeit erfasst und als Werdevorgang begleitet und unterstützt wird. Das Künstlerische unterscheidet sich markant von jener Vorgehensweise, die durch zieldefinierte Planung und Organisation, durch Steuerung der Lernprozesse und Überprüfbarkeit der Resultate der Staatsschule gekennzeichnet ist.
Diese Art des zweckrationalen Vorgehens erzielt reproduzierbare, überprüfbare Produkte mit messbarer Qualität. Die künstlerische Methode dagegen bringt immer individuelle Ergebnisse mit originaler Qualität hervor. Dies ist nicht mit gleichem Maße zu messen. Sie orientiert sich an der schöpferischen Entfaltung individueller Möglichkeiten. Der zweckrationale Unterricht ist dem Umgang mit technischen Einrichtungen angemessen, wie etwa der Handhabung von Maschinen oder Apparaten. Das Schöpferische bleibt dabei auf das Konzeptdesign beschränkt, die Ausführung oder die Praxis dagegen verlangt eine strikte Befolgung vorgeplanter Handlungsanweisungen. So teilte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie... Rogowski mit, - er ist selber ein ehemaliger Waldorfschüler- dass er gerne Absolventen von Waldorfschulen in der Industrie einstelle, wenn es darum geht, in Phantasie erfordernden, kreativen und innovativen Bereichen zu arbeiten. Zweckrationaler Unterricht fördert dagegen eher beispielsweise das Handlungsfeld von Piloten, Ingenieuren. Aber auch auf solchen Gebieten stehen Waldorfschüler ihren Mann, wie wir inzwischen wissen. Die künstlerische Methode ist immer da angezeigt, wo es sich um zukunftsoffene Unterstützung und Mitgestaltung organischvitaler oder seelisch-biographischer Vorgänge handelt.
b) Mit allen Sinnen lernen
Unserer Pädagogik liegt eine erweiterte Sinneslehre zu Grunde. Während viele didaktische Konzepte von einer Beschränkung auf Sehen, Hören, Tasten ausgehen, wird in der Waldorfpädagogik eine zwölffache Differenzierung des Weltbezuges über die Sinne angenommen. Gerade die Pflege der so genannten „unteren Sinne“ – Tastsinn, Lebenssinn, Eigenbewegungssinn, Gleichgewichtssinn – spielt in der Vorschul- und Grundschulpädagogik eine vorrangige Rolle, bildet diese Sinneslehre doch das Fundament für die Ausbildung von Weltvertrauen und Daseinsgewissheit.
Die „mittleren Sinne“ – Geruchs-, Geschmacks-Sehsinn, Wärmesinn – berühren am stärksten unser Gemüts- und Gefühlsleben.
Die „oberen Sinne“ - Hörsinn, Wortsinn, Gedanken und Ich-Sinn – führen den Menschen ins Innere hinein und heißen deshalb auch „Erkenntnissinne“. Leider kann an dieser Stelle nicht näher auf dies differenzierte Sinneslehre eingegangen werden. Die Sinneslehre, wie sie der Waldorfpädagogik zu Grunde liegt, kann als erweiterte Grundlage für eine Stabilisierung eines gesunden Verhältnisses zur eigenen Leiblichkeit, zur natürlichen und zur mitmenschlichen Umwelt gelten. Wir erleben heute, wie eine Verarmung von Sinnesqualitäten in einer mediengesteuerten Welt Platz greift und wie die zu Beginn der Ausführungen geschilderten gesundheitlichen Probleme auf einem defizitären Sinnes- und Leibverhältnis basieren. Die Medienkritik der Waldorfschule beruht also nicht auf einer nörglerischen, besserwisserischen Haltung, sondern entspringt tiefer Sorge um die gesundheitliche Entwicklung der Kinder.
c) und d) Wesensgliederkunde und Dreigliederung des Leibes und der Seele
Die differenzierte Menschenkunde der Waldorfschule beruht auf der Entdeckung, dass der Mensch psychologisch und physiologisch – seelisch-geistig einerseits und in den leiblichen Lebensvorgängen andererseits – dreigegliedert ist.
Die drei Bereiche sind leiblich das Nerven-Sinnes-System, das rhythmische System und das Stoff-Wechsel-Gliedmassen-System. Psychologisch korrespondieren damit die Tätigkeiten des Vorstellens, des Fühlens und des Wollens, sowie die drei Bewusstseinszustände Wachen, Träumen und Schlafen. Durch das Aufdecken dieser Bezüge überwindet Steiner die Auffassung, Psychisches sei eine bloße Funktion von neuronalen Prozessen und demzufolge im Nervensystem lokalisiert.
Didaktisch und methodisch hat dies eine Überwindung einseitig kognitiver Konzepte zur Folge: Am Lernen ist nicht nur das Nervensystem, sondern der ganze Mensch beteiligt. Am Kopfrechnen zum Beispiel ist nicht nur das Nervensystem, sondern der ganze Mensch engagiert. Bei dieser Prozedur ist die Durchblutung der Muskeln um 300% erhöht, und der Puls steigt bei angestrengtem Kopfrechnen auf 120 pro Minute, wie bei körperlicher Schwerarbeit. Bis hinein in die Immunprozesse wirkt sich das Kopfrechnen aus – ein Forschungsergebnis der Psycho-Neuro-Immunologie, einer neueren Forschungseinrichtung. Die Erfahrung lehrt, dass nur wenn alle drei Bereiche: Leib, Seele und Geist, sowie Denken, Fühlen und Handeln in den Unterricht einbezogen werden, verhindert werden kann, dass durch einseitige intellektuelle Anforderungen bei den Kindern Ängste, Nervosität und Unruhe auftreten.
Vergleichende Studien zwischen Waldorfschülern und Staatsschülern belegen die Hypothese, dass Waldorfschüler wesentlich weniger diese Krankheitssymptome aufweisen. – Mit anderen Worten: Die Methoden des Unterrichts mit Einbezug von emotionalen und leiblichen Erfahrungen erzielen nicht nur bessere Lernergebnisse, sondern auch gesundheitsfördernde Wirkungen.
Ein Beispiel: Wir erinnern uns vielleicht, wie ein Gedicht nicht nur statisch aufgesagt wird, sondern wie sich rhythmisch dazu bewegt wird, eine Zahl oder ein Buchstabe nicht nur an der Tafel erscheinen beim Lesen- und Rechnenlernen, sie werden auch groß in den Sand geschrieben oder in Ton plastiziert. Wenn man durch eine Schule dieser Prägung geht, ist viel Bewegung und „geordnete Lautheit“ auf den Fluren wahrzunehmen: In der einen Klasse wird ein Stabreim gestampft, woanders wird chorisch rezitiert. Der Wechsel von Ruhe und Bewegung, der Einklang von Nerven- und Blutpool, von Vorstellung und Willen wird gepflegt.
e) Rhythmen des Menschen
Die künstlerische Unterrichtsmethode ist die Vorgehensweise, welche der Individualität des Kindes den nötigen Entwicklungsraum gewährt. Wir Waldorfschüler haben in der Unter- und Mittelstufe erlebt, dass die rhythmische Abfolge im Hauptunterricht von rhythmisch-musikalischen und sprachlichen Teilen mit nachfolgender Phase der Konzentration und stillen Arbeiten wohltuend wirkt. Das atmende Schwingen zwischen Reflektieren und Agieren und ihrem harmonisierenden Ausgleich in der empfindenden Mitte ist ein Wesenszug dieses künstlerischen Prozesses. Dieses Vorgehen ermüdet die Schüler weniger stark und erhält die Lernfreude bis zum Ende der Schulzeit.
Aus salutogenetischer Sicht kann man sagen: Es stärkt das Kohärenzgefühl des Schülers, aber auch des Lehrers im Sinne von Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und dem Erleben von Sinnhaftigkeit der Welt in der Behandlung der Inhalte.
f) Biographisch orientierte, altersgerechte Unterrichtsmethode
Die Entwicklung des Kindes wird beschrieben in drei Jahrsiebten, die symptomatisch durch den Zahnwechsel und die Pubertät markiert werden. Jedes Jahrsiebt ist ein Durchlaufen charakteristischer und notwendiger Entwicklungsschritte: Die sukzessiv sich entfaltenden Wesensglieder (Daseinsschichten des Menschen) benötigen für eine gesunde Entwicklungsprozessen, kann eine gesunde Interaktion der vier Daseinsschichten (physischer Leib, Lebensleib, Seelenleib und Individualität) beeinträchtigen, eine Disposition für spätere Erkrankungen schaffen. Die Jahrsiebte, wie sie der anthroposophischen Pädagogik zugrunde liegen, werden oft als unpädagogische Normvorgaben missverstanden, welche einer Individualisierung der Pädagogik zuwiderliefen. Eine genaue Betrachtung gibt aber eine ganz andere Sichtweise: Der ungefähre Siebenjahresrhythmus muss als gesundendes Ordnungsprinzip in der leiblich-seelischen Entwicklung des Kindes aufgefasst werden.
Gerade im Umgang mit den durchgängig zivilisatorisch bedingten Akzelerationen und Retardationen der kindlichen und jugendlichen Entwicklung und dem deutlichen Auseinanderklaffen körperlicher und seelischer Reifeprozesse kommt der Berücksichtigung der Jahrsiebte eine neue gesundheitsfördernde Bedeutung zu. Natürlich darf die Sache mit den Jahrsiebten nicht zu starr gehandhabt werden, insofern, als es viele individuelle Abweichungen gibt: Es scheint so zu sein, dass immer mehr Kinder auf die Welt kommen, die sehr viel mitbringen, sehr früh reif, geradezu weise erscheinen: ebenso gibt es Verzögerungen, welche nicht zivilisatorisch bedingt sind. Alle diese Kinder darf man nicht in irgendeine Norm pressen wollen; vielmehr lautet die Aufgabe, sie zu verstehen.
Gerade zu erkennen, dass die Kräfte von Leib, Seele und Geist zu früh beansprucht werden für das Lernen, oder zu spät, ist wichtig. Dass die frei werdenden Lebenskräfte, die nach dem Zahnwechsel für das Lernen zur Verfügung stehen, bildsam und fließend gehalten werden durch einen künstlerischen Unterricht ist, wie gesagt, ein entscheidender Aspekt der Pädagogik und führt zur Krankheitsvorbeugung im späteren Alter. Diese Lebenskräfte sind die eigentlich gesundenden Kräfte (in der Anthroposophie werden sie auch Ätherkräfte genannt) und wir brauchen sie im Krankheitsfall, wo sie wieder organgebunden sind.
Waldorfschule und Gesellschaft
Nicht nur auf effizientes Lernen, sondern auf gesundes Lernen kommt es demnach an – die Industriegesellschaft verfolgte bisher im wesentlichen ein Wachstum, das auf der Nutzung und dem Verbrauch von Rohstoffen und Energie basierte und die Steigerung von Produktion und verbrauch materieller Güter zum Ziel hatte. Der Raubbau an den Ressourcen unseres Planeten bedeutet eine globale Bedrohung der Lebensgrundlagen. Die „Grenzen des Wachstums“ kamen, nicht zuletzt dank des gleichnamigen 1972 erschienenen Sachbuches, erst allmählich ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit und haben ein allmähliches Umdenken in Gang gesetzt. Wie der Blick auf die gegenwärtige gesundheitliche Situation zeigt, ist zur Zeit ein Raubbau an den vitalen, psychischen und geistigen Ressourcen des Menschen voll im Gange. Vor allem in der Arbeitswelt wird stärker denn je Leistungsbereitschaft, Engagement, Kreativität, Selbstständigkeit und Verantwortungsübernahme gefordert, ohne sich darüber klar zu werden, woher und wodurch die Kräfte dazu kommen und nachwachsen sollen, um diesen Anforderungen überhaupt genügen zu können.
Es zeigt sich immer deutlicher, dass Urlaub, Freizeitspaß und Unterhaltung nicht ausreichen, um den modernen Anforderungen nachhaltig genügen zu können. In diesem Falle sind es „Grenzen des Wachstums“, nicht in erster Linie von materiellen Gütern, sondern es sind seelisch-geistige Kräfte, und es stellt sich die Frage, wie und wodurch diese seelisch-geistigen Kräfte gestärkt und in ihrer Entfaltung gefördert und unterstützt werden können.
Salutogenese – das menschenkundliche, aus der Gesundheitsforschung stammende Konzept der Salutogenese geht auf Aaron Antonovsky (1923 – 1994) zurück und leitete einen Perspektivenwechsel im Bereich der Gesundheitsforschung ein. Ausgehend von der Frage, warum Menschen unter schlimmsten und ungünstigsten Lebensbedingungen gesund bleiben und sich gesund fühlen (wie etwa Frauen, die das Konzentrationslager überlebten und später in Israel, zum Zeitpunkt des Älterwerdens, untersucht wurden), fragte er nach den gesund machenden Bedingungen des Lebens. Dies steht der mehrheitlich üblichen Betrachtung diametral gegenüber, die meint, es handle sich bei Gesundheit lediglich um die Abwesenheit von Krankheit, und es erschöpfe sich das Gesundwerden in der Bekämpfung pathogenetischer, krank machender Faktoren. Die Salutogeneseforschung fragt vielmehr nach den gesund machenden Bedingungen im Leben. Gesundheit hat demnach im weitesten Sinne mit körperlicher Widerstandskraft zu tun, mit seelischer Stärke und geistiger Klarheit.
Der Hauptfaktor für die Entstehung und Erhaltung von Gesundheit ist das so genannte Kohärenzgefühl (Sense of Coherence). Es kann beschrieben werden als empfindungsmäßige Übereinstimmung eines Menschen mit sich uns seiner physischen, sozialen und kulturellen Umwelt, eine Grundhaltung der Welt gegenüber. Dieses Gefühl scheint die entscheidende Einflussgröße für den Gesundheitszustand eines Menschen zu sein und wirkt sich nicht nur psychisch, sondern auch leiblich aus. Das Kohärenzgefühl speist sich aus drei Komponenten:
1.) Das Gefühl der Verstehbarkeit (Sense of Comprehesibility)
Damit meint Antonovsky ein Vertrauen in die Fähigkeit, die Welt zu verstehen, zu einer erkenntnismäßigen Zuwendung zur Welt: „Ich vertraue darauf, dass ich die Welt und mich grundsätzlich verstehen kann als geordnet, als strukturiert, auch wenn sie mir noch weithin unbekannt ist und ich mit Fakten konfrontiert werde, welche mir chaotisch, willkürlich, zufällig und deshalb als unerklärlich erscheinen.
2.) Das Gefühl der Bewältigbarkeit, der Handhabbarkeit (Sense of Manageability)
Hiermit ist gemeint, dass das Leben und seine Erfordernisse als bewältigbar erlebt werden, Herausforderungen, die sich stellen, können angenommen werden. Die Person hat das Vertrauen, dass sie selbst oder der Partner, ein Kollege oder Gott die gestellte Aufgabe meistern können, dass wir genügend Ressourcen zur Verfügung haben, um den Anforderungen des Lebens zu begegnen. Betont wird, dass es nicht nur darum gehe, über eigene Kompetenzen verfügen zu können; auch der Glaube daran, das andere Personen oder eine höhere Macht dabei helfen, Schwierigkeiten zu überwinden, ist damit gemeint (in schwierigen Situationen bin ich nicht allein gelassen).
Der Mensch, dem diese Überzeugung fehlt, gleicht dem sprichwörtlichen Pechvogel, der sich immer aufs neue schrecklichen Ereignissen ausgeliefert sieht, ohne etwas dagegen unternehmen zu können.
3.) das Gefühl von Sinnhaftigkeit und Bedeutsamkeit
betrifft die Motivation einer Person. Sie empfindet bestimmte Dinge ihres Lebens als wichtig und sinnvoll, und dies wird nicht nur erkannt, sondern auch emotional erlebt und gefühlt. Hier geht es um das Ausmaß, in dem eine Person das Leben als sinnvoll empfindet, und um die Frage, inwieweit ein Mensch einsieht, dass Probleme und Anforderungen zum Leben dazu gehören, d.h. dass sie es wert sind, Energie in sie zu investieren und sich ihnen verpflichtet zu fühlen und somit Herausforderungen auch als Geschenk ansehen kann. Diese dritte Komponente sieht Antonovsky als die wichtigste an.
Ohne die Erfahrung von Sinnhaftigkeit und ohne positive Erwartungen an das Leben ergibt sich trotz einer hohen Ausprägung der anderen beiden Komponenten kein hoher Grad des gesamten Kohärenz-Gefühles. Ein Mensch wird das Leben in allen Bereichen nur als Last empfinden, und jede weitere sich stellende Aufgabe als zusätzliche Qual, wenn ihm dieses Erleben von Sinnhaftigkeit fehlt.
Das Gegenteil des Kohärenzgefühls – Drehen wir versuchsweise die drei von Antonovsky beschriebenen Komponenten um, kehren sie in ihr Gegenteil:
1.) Ich verstehe die Welt überhaupt nicht
2.) Ich kann nichts machen
3.) Es hat alles überhaupt keinen Sinn
Dann beschreiben wir genau das Krankheitsbild der alles lähmenden Depression.
Angesichts der starken Zunahme und Verbreitung, welche diese Krankheit erfährt – und hierzu zählt auch der Motivationsverlust beim Lernen – erweist sich Antonovskys Konzept der Salutogenese als von höchster pädagogischer Aktualität.
Es sollte gezeigt werden, dass Waldorfpädagogik von Anfang an Gesundbleiben und Erziehen als Einheit ansieht. Obwohl Antonowskys Salutogenese der empirischen Forschung entspringt, ist ihr Gesundheitsverständnis durchaus offen für spirituelle Sichtweisen. Denn Antonovsky knüpft sein Gesundheitsverständnis nicht an eine statistische Norm, sondern nimmt die Schicksalssituation des einzelnen Menschen als Ausgangspunkt. Damit fasst er allerdings etwas ins Auge, das sich der naturwissenschaftlich-soziologischen Methode entzieht: Es ist der individuelle geistige Wesenskern des Menschen. Antonovsky vermag nur zu beschreiben, wie sich das Weltverhältnis eines Menschen in gesunder Weise gestaltet, aber nicht, was dieser individuelle Wesenskern ist. So ist es nur konsequent, dass Antonovsky es vermeidet, darüber zu spekulieren; er lässt die Frage bewusst offen.
Rudolf Steiner bewegte sich aus einer deutlich anderen Richtung auf die Frage nach der Gesundheit zu, dass er sich dabei nach beinahe einem Jahrhundert mit der modernen Gesundheitsforschung trifft, dürfte die Fruchtbarkeit und Aktualität seiner Forschungsmethoden bestätigen.
Es war in alten Zeiten,
Da lebte in der Eingeweihten Seelen
Kraftvoll der Gedanke, dass krank
Von Natur ein jeglicher Mensch sei.
Und Erziehen ward angesehen
Gleich dem Heilprozess,
der dem Kinde mit dem Reifen
die Gesundheit zugleich erbrachte
für des Lebens vollendetes Menschsein.
Rudolf Steiner
* 27.02.1861 + 30.03.1925
Kraljevec/ Kroatien Dornach bei Basel
Praktische Ergebnisse
Es gibt nur wenige, oder nur vereinzelte, Studien darüber, wie stark die Pädagogik Steiners tatsächlich gesundheitsfördernd ist. Aus den letzten 25 Jahren liegen ungefähr sechs Untersuchungen zu gesundheitlichen Aspekten bei Waldorfschülern vor. Eine schulärztliche Vergleichsstudie an Waldorfklassen und Staatsschulklassen im Raum Stuttgart hat ergeben, dass bei Waldorfschülerinnen der Eintritt der ersten Regelblutung deutlich später erfolgt als bei deren Altersgenossinnen auf der Staatsschule.Es zeigte sich, dass der ermittelte Zeitunterschied von rund acht Monaten auf den Schulunterricht und nicht auf das soziale Umfeld zurückzuführen ist. In Anbetracht der Tatsache, dass eine Verfrühung in den körperlichen Symptomen der Pubertät meist einhergeht mit einer Verspätung der psychischen Entwicklung, muss dieser Befund gesundheitlich als positiv gewertet werden. Hier ist zu erinnern an eine im Jahr 1999 in Schweden durchgeführte eingehende Untersuchung über die Häufigkeit allergischer Krankheiten, früher wurde darüber eingehender berichtet.
Schüler aus zwei Waldorfschulen und zwei Staatsschulen wurden auf Allergien – wie Bronchial-Asthma, Neurodermitis und Heuschnupfen – untersucht und deren Auftreten im Zusammenhang mit dem familiären Lebensstil gebracht (Ernährungsweise, Impfungshäufigkeit, Medizin, Behandlung, sowie rhythmischer Tagesverlauf) Das deutlich geringere Auftreten allergischer Krankheiten bei Waldorfschülern – rund 50% weniger! – steht in eindeutigem Zusammenhang mit dem „anthroposophischen Lebensstil“ ihrer Familien. Da sind zu nennen: Wenig oder gar kein Einsatz von Antibiotika oder Fieber senkender Mittel, geringere Impfraten und mehr durchgestandene Masern, längere Stillzeit, vermehrter Genuss naturbelassener Nahrungsmittel – alles Faktoren, die sich nachweislich positiv auf das Immunsystem der Kinder auswirken und eine Erhöhung ihres Gesundheitspotenzials zur Folge haben.
Eine weitere Studie stammt aus dem Jahre 2000; in ihr wurde der psychosomatische Gesundheitsstatus von Waldorfschülern im Vergleich zu Staatsschülern untersucht. Dabei zeigte sich bei 12- bis 16-jährigen Waldorfschülern ein signifikant geringeres Vorkommen folgender Beschwerden:
Kopfschmerzen, Nervosität und Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten, Magenbeschwerden, Übelkeit Händezittern, starkes Herzklopfen, Appetitlosigkeit Schweißausbrüche, Kreuz- und Rückenbeschwerden, Schmerzen im Beckenraum, Schmerzen in der Brust. Bezüglich von Schlafstörungen ist statistisch kein besseres Ergebnis nachweisbar. Die Ergebnisse bestätigen, dass sich Waldorfschüler psychosomatisch besser fühlen, als es bei den Staatsschülern der Fall ist.
Die gleiche Studie weist auch nach, dass sich Absolventen von Waldorfschulen signifikant häufiger höhere oder anspruchsvollere Berufswege zutrauen, als ihre Altersgenossen aus staatlichen Schulen. Dies erlaubt, hypothetisch zu schließen auf ein gesundes Selbstvertrauen und damit auf jenes höhere Kohärenzgefühl im Sinne der Salutogenese von Aaron Antonovsky.
So erfreulich solche Ergebnisse sind, so dürfen sie trotzdem nicht hinwegtäuschen über die begrenzte Bedeutung statistischer Studien. Für eine Pädagogik, die sich am einzelnen Schicksal des Menschen orientiert, können statistische Ergebnisse niemals letzter Erkenntnisgrund sein. Es darf nicht vergessen werden, dass die Erziehungskunst steht und fällt mit den künstlerisch-pädagogischen Fähigkeiten, mit denen der Lehrer arbeitet. Der Erfolg dieser Arbeit lässt sich deshalb auch nicht durch Vergleich mit statistischen Normen messen.
Pädagogische Gesundheitsförderung im weitesten Sinne ist an sich nicht neu. Neu ist nur die Sprache, die Erkenntnisbreite, das methodische Instrumentarium für die Praxis. Gesundheitsförderung hat aber gegenwärtig eine sehr große Aktualität und Notwendigkeit.
Dr. med. Jürgen Möller, Hannover Januar 2005
Literaturhinweis
Rudolf Steiner: Allgemeine Menschenkunde, 1. Vortrag 1919
Rudolf Steiner: Jungmedizinerkurs, 1924
Aaron Antonovsky: Salutogenese, zur Entmystifizierung der Gesundheit, Tübingen 1997
Thomas Marti: Gesundheitsfördernde Pädagogik, medizinisch-pädagogische Konferenz
Zeitschrift „Medizinisch-pädagogische Konferenz“, 30/2004
Rüdiger Lorenz: Salutogenese, Ernst Reinhardt Verlag, 2004
Hier nun einer von mehreren Texten, die von ihm verfasst und mir zur Verfügung gestellt wurde:
Der gesundheitsfördernde Ansatz der Waldorfpädagogik
Der Grund, warum Eltern ihre Kinder auf die Waldorfschule schicken, ist sehr unterschiedlich und vielschichtig. Als mein Bruder Gert (* 1943) und ich (* 1942) im Jahre 1955 auf die Freie Waldorfschule in Benefeld kamen, waren wir schon drei Jahre in der Waldorfschule Hannover gewesen. Diese war nach dem Kriege im wesentlichen auf eine Initiative von Rene Maikowsky wieder eröffnet worden. Maikowsky ging dann wenige Jahre später als Gründungslehrer nach Benefeld. Unsere Eltern schickten uns aus mehr äußeren Gründen auf die Waldorfschule: Nähe zur Wohnung, „spielerisch lernen“ sollte man dort, und es war auf dem Gelände am Maschsee ein kleines Schwimmbad, das letztlich den Ausschlag gab für die Wahl dieser Schule. Von dem Hintergrund der dort gepflegten Pädagogik (christliche Schule, Anthroposophie) hatten unsere Eltern keine Ahnung, und wir als Schüler auch nicht, bis in die Oberstufe hinein, da unsere Lehrer uns nicht missionieren und zu Anthroposophen machen wollten, so habe ich es jedenfalls erlebt.
Eines der Hauptanliegen der Waldorfschule ist, die Kinder leiblich, seelisch und geistig gesund zu erhalten. Dies mag erstaunen, ist doch Gesundheit landläufig kein eigentlicher Begriff der Pädagogik, und Rudolf Steiners pädagogischer Ansatz ist immer noch der einzige, für den Gesundheitsförderung ein Hauptanliegen ist, so dass bis in die Unterrichtsmethodik darauf Rücksicht genommen wird. Gesundheitsförderung erschöpft sich nicht in flankierenden Einzelmaßnahmen – nach dem Motto, ein bisschen Kunst und ein bisschen Musik mag das Gemüt bilden, Stricken die Geschicklichkeit fördern, Sport den Körper etc. - , sondern hier wird sie zum Ziel- und Kernpunkt der Erziehungskunst, hier durchzieht sie das alltägliche Leben der Schule: Lehrplan, den Aufbau des Unterrichts (Rhythmischer Teil- Lernteil- Erzählteil), die Stoffauswahl und –abfolge, die Art der Lehrmittel, die Gestaltung der Zeugnisse, die Architektur und die Sozialgestalt der Schule. Alles basiert auf gesundheits- und entwicklungsfördernden Gesichtspunkten und hat eine den ganzen Menschen umfassende Menschenkunde zur Grundlage.
Ist Waldorfpädagogik Reformpädagogik?
Zwar entstand die Waldorfpädagogik nach dem Ersten Weltkrieg, einer Zeit, in welcher Reformbewegungen Hochkonjunktur hatten. Sie hatte das Ziel einer Erneuerung des Bildungswesens, als Gegenbewegung zum verkrusteten bürgerlichen Leben zu mehr Kindgemäßheit hin, zu Jugendlichkeit und Naturnähe, wollte Rudolf Steiner eine Reform zu einer vertieften spirituellen Grundlage der Erziehung mit Einbezug des ganzen Menschen. Man kann sich diese Aufgabe angesichts des Materialismus der damaligen Zeit nicht gewaltig genug vorstellen; sie war mehr als eine reformpädagogische Bestrebung. Eine Reform des allgemeinen Kulturerlebens: die Erneuerung von Wissenschaft, Kunst und Religion auf einer vertieften spirituellen Grundlage war ins Auge gefasst, wie auch für zahlreiche andere relevante Lebensfelder, wie Medizin, Pharmazie, Landwirtschaft, bildende Kunst und Architektur, Sozial- und Wirtschaftswissenschaft und die Heilpädagogik.
Eine pädagogisch gute Schule basiert letztlich doch immer auf gesundheitsfördernden und entwicklungsorientierten und deshalb heilenden Zielen. Aber nicht in erster Linie kranke oder gestörte Kinder waren ins Auge gefasst bei der Konzipierung der Waldorfschule, sondern durchaus gesunde. Nicht eine irgendwie geartete Heilanstalt sollte diese Schule werden. Wenn deshalb von Erziehen und Unterrichten als einem Heilen gesprochen wird, dann ganz offensichtlich nicht im Sinne einer Therapie von Störungen, sondern eindeutig als Pflege und Unterstützung der gesund erhaltenden Kräfte im Kind. Die Frage ist also nicht: Wie kuriere ich gestörte oder kranke Kinder?, sondern: Wie kann ich die Arbeit so gestalten, dass die Kinder durch den Unterricht in ihrem gesunden Kräften gestärkt werden, sich gesund entwickeln und zu freiheitsfähigen Menschen werden? Eine Dissertation an der Universität Bielefeld hat kürzlich nachgewiesen, dass die Pädagogik Rudolf Steiners die bisher radikalste und weitreichendste gesundheitsfördernde Pädagogik darstellt (Zdrazil 2000)
Ist Waldorfpädagogik veraltet?
Lange Zeit galt die Waldorfschule bei gewissen Kritikern als ein Lernort für intellektuell minderbegabte Kinder von finanziell höher begabten Eltern. Diese Meinung ist inzwischen längst widerlegt. Waldorfschüler stehen im öffentlichen Leben „ihren Mann“ oder „ihre Frau“, sei es in Wissenschaft, Kunst und Kultur. Dennoch gibt es alle paar Jahre Wellen von Gegnerschaft, zum teil seitens ungenügend recherchierender Journalisten (Rassismusvorwurf; ökologische Nische) oder den Einwand, es handle sich um eine „Weltanschauungsschule“, der etwa in Frankreich sogar gerichtlich erklärt werden musste, da dort Waldorfschulen im Zuge staatlicher Anti-Sekten-Kampagnen von der Schließung bedroht waren. Alle diese Vorwürfe konnten entkräftet werden. Mittlerweile erweist sich das Konzept der Steiner-Pädagogik als nicht „von gestern“, sondern als „von heute“ oder sogar „von übermorgen“, da vieles in ihm Angelegte noch gar nicht richtig entwickelt werden konnte.
In einer heute in Natur- und Geisteswissenschaft üblichen Prägung liegen mittlerweile auch Konzepte vor, die den Ansatz der Waldorfpädagogik sehr stark stützen – Es handelt sich dabei um Konzepte der offiziellen Wissenschaft der letzten zwanzig Jahre, welche zur Zeit der Entstehung dieser Pädagogik (1919) bei dem damals herrschenden Positivismus und Materialismus noch nicht denkbar waren. Offenbar nähern sich die Ergebnisse der offiziellen wissenschaftlichen Forschung immer mehr diesem Menschenbild an, indem subtiler vorgegangen wird und auch ein Einbezug des Seelischen und Geistigen des Menschen stattfindet.
Gerade angesichts der anwachsenden Probleme im Schulwesen, mit Lernunlust, Gewalt und Drogensucht, wird die Suche nach tragfähigen Konzepten mit Einbezug des ganzen Menschen wieder aktuell. Der Stellenwert kognitiver Leistungen gewinnt gegenwärtig ja zunehmend wieder an Gewicht, auch die Frage wie die Schüler kompetent für die Wirtschaftswelt gemacht werden, steht als Lernziel ganz oben an. Die Folge davon ist die Aufmerksamkeit und Publizität, die internationale Vergleichsstudien wie PISA genießen. Man steht unter dem Eindruck, dass dem Erreichen schulischem Wissensstandards eine ähnliche Tragweite beigemessen wird wie es Kapitalanleger den Börsenkursen gegenüber tun:
Sie sind eine Messgröße für den Erfolg des Unternehmens und entscheiden über das weitere Fortkommen im internationalen Wettbewerb. Auch die Vorstellung von der Verträglichkeit von Mensch und Computer hat in vielen Lehrplänen und methodisch-didaktischen Konzepten längst nachhaltig Niederschlag gefunden. Da die Gehirnstrukturen bereits in der frühen Kindheit ausreifen, nimmt man an, dass Kinder, die frühzeitig mit Computern, Videogeräten etc. umgehen, auch die entsprechenden Hirnvernetzungen ausbilden und damit eher „arbeitsweltkompatibel“ werden als Kinder, denen dies alles fehlt.
Es gibt aber begründete Vermutungen, nach denen die Informationsgesellschaft ihren Höhepunkt bereits überschritten hat und sich eine neue Entwicklung anbahnt, in der etwa wieder mehr auch die Frage nach der persönlichen Bindung von Lehrer und Schüler Beachtung findet, so dass es wieder mehr darum gehen wird, einen ganzheitlichen Blick auf den Schüler und auf den Umgang mit ihm zu pflegen. Begriffe wie Schulethos und Schulatmosphäre sind langsam wieder „in“! Sie atmen eine humanitäre Stimmung, sie scheinen veraltet, erfahren aber wieder Wertschätzung.
Wie auch immer die zukünftige Entwicklung laufen wird, so zeichnet sich doch in unserer Gegenwart eine Situation ab, die für immer mehr Menschen zur existenziellen Bedrohung wird, so dass die Pädagogik ein heilender Faktor sein kann.
Gesundheitliche Situation von Kindern und Jugendlichen
Überblickt man die Entwicklung der gesundheitlichen Situation in den letzten Jahrzehnten, kommt man nicht umhin festzustellen, dass sie einhergeht mit drastischen Veränderungen in der Lebenswelt. Diese sind gekennzeichnet durch steigende Hektik, Ruhelosigkeit, durch Stress als Folge einer chronifizierten Forderung nach ständiger Leistungsbereitschaft, sowie durch eine steigende Überflutung mit zusammenhanglosen Informationen und Sinnesreizen. Die Lebenswelt ist eine ständige Aufforderung zu erhöhter und immer wieder wechselnder Aufmerksamkeit und zu einer permanenten Antriebssteigerung. Wir leben in einer Welt, welche Hyperaktivität und ständigen Wechsel der Aufmerksamkeit zum Normalfall macht.
Anstelle fiebriger Kinderkrankheiten treten viele unspezifische Leiden auf: Nervosität, motorische Unruhe, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, Schlaf- und Essstörungen. Auch Allergien treten seit den 1950er Jahren doppelt so häufig auf, als zuvor. Heute ist rund jedes dritte Kind davon betroffen. Dazu kommen vermehrt psychosomatische Leiden wie Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen. Entsprechend ist auch der Umgang mit Medikamenten. Schätzungsweise greifen rund ein Drittel aller Zwölfjährigen mindestens einmal wöchentlich in den Medikamentenschrank der Eltern, weil sie Schmerz, Beruhigungs- oder Aufputschmittel brauchen. Eine Untersuchung im Schweizer Kanton Zürich ergab, dass insgesamt 22, 5 % der Kinder und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter eine oder mehrere psychische Störungen oder Verhaltensauffälligkeiten nach klinischen Kriterien aufweisen. Typische Störungsbilder sind: Hyperkinese, Störungen des Sozialverhaltens, Teilleistungsstörungen, Angststörungen, Depressionen, Aggressionen. Eine Zunahme der Störungen von Haltung und Skelett aufgrund des Bewegungsmangels, wie auch Fettsucht sind weitere Probleme, die im Zunehmen begriffen sind. Ungefähr jedes achte deutsche Kind zeigt Sprachauffälligkeiten, etwa jedes fünfte Kind weist einen übermäßig starken Bewegungsdrang auf. Rund 47 % der Elf- bis Vierzehnjährigen waren 1995 förderungsbedürftig; 1986 waren es lediglich 16 %. Das bedeutet: innerhalb von zehn Jahren erfolgte eine Verdreifachung dieser Entwicklungsdefizite. Alle diese Symptome deuten auf ein defizitäres Leibverhältnis hin und können als direkte Folge mangelnder frühkindlicher Bewegungs- und Sinnesaktivität interpretiert werden. Schulen mit der einseitiger Betonung kognitiven Wissens tragen das ihre dazu bei.
Kernbereiche der Pädagogik Rudolf Steiners
a) Künstlerischer belebender Unterricht
b) Ansprechen aller 12 Sinne
c) Wesensgliederkunde
d) Dreigliederung des Menschen
e) Rhythmen des Menschen
f) Biographische Psycho-Physiologie „Jahrsiebte“
g) Verbindender pädagogischer Ethos
h) Religiöse Grundhaltung als sinnstiftender Aspekt
i) Schulorganisatorischer Rahmen
Es sollen im Folgenden dargestellt werden, hiervon skizzenhaft einige wichtige Bereiche, die als charakteristisch für die Pädagogik Rudolf Steiners gelten können. Sie zeichnen sich nicht nur aus durch ihre Originalität zur damaligen Zeit, sondern in erster Linie dadurch, dass sie durchweg von gesundheitsfördernder Bedeutung sind.
a) Künstlerischer belebender Unterricht
Der künstlerische Unterricht gehört zu den Kernforderungen der Steiner-Pädagogik.
Ausdrücklich ist aber nicht von „Kunst im Unterricht“ oder von Kunstunterricht die Rede, sondern vom Künstlerischen als einer besonderen Qualität in der Gestaltung des Unterrichts. Nicht um eine musische, dekorative Auflockerung des sonst ungenießbaren Unterrichtsinhaltes handelt es sich. Das Künstlerische ist hier die Unterrichtsmethode selbst. Es bedeutet die Art und Weise, wie lebendig, d.h. Originell, präsent vorgegangen wird vom Lehrer, dass das konkret Vorliegende der Kinder und der Inhalte in seiner momentanen Entwicklungsfähigkeit erfasst und als Werdevorgang begleitet und unterstützt wird. Das Künstlerische unterscheidet sich markant von jener Vorgehensweise, die durch zieldefinierte Planung und Organisation, durch Steuerung der Lernprozesse und Überprüfbarkeit der Resultate der Staatsschule gekennzeichnet ist.
Diese Art des zweckrationalen Vorgehens erzielt reproduzierbare, überprüfbare Produkte mit messbarer Qualität. Die künstlerische Methode dagegen bringt immer individuelle Ergebnisse mit originaler Qualität hervor. Dies ist nicht mit gleichem Maße zu messen. Sie orientiert sich an der schöpferischen Entfaltung individueller Möglichkeiten. Der zweckrationale Unterricht ist dem Umgang mit technischen Einrichtungen angemessen, wie etwa der Handhabung von Maschinen oder Apparaten. Das Schöpferische bleibt dabei auf das Konzeptdesign beschränkt, die Ausführung oder die Praxis dagegen verlangt eine strikte Befolgung vorgeplanter Handlungsanweisungen. So teilte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie... Rogowski mit, - er ist selber ein ehemaliger Waldorfschüler- dass er gerne Absolventen von Waldorfschulen in der Industrie einstelle, wenn es darum geht, in Phantasie erfordernden, kreativen und innovativen Bereichen zu arbeiten. Zweckrationaler Unterricht fördert dagegen eher beispielsweise das Handlungsfeld von Piloten, Ingenieuren. Aber auch auf solchen Gebieten stehen Waldorfschüler ihren Mann, wie wir inzwischen wissen. Die künstlerische Methode ist immer da angezeigt, wo es sich um zukunftsoffene Unterstützung und Mitgestaltung organischvitaler oder seelisch-biographischer Vorgänge handelt.
b) Mit allen Sinnen lernen
Unserer Pädagogik liegt eine erweiterte Sinneslehre zu Grunde. Während viele didaktische Konzepte von einer Beschränkung auf Sehen, Hören, Tasten ausgehen, wird in der Waldorfpädagogik eine zwölffache Differenzierung des Weltbezuges über die Sinne angenommen. Gerade die Pflege der so genannten „unteren Sinne“ – Tastsinn, Lebenssinn, Eigenbewegungssinn, Gleichgewichtssinn – spielt in der Vorschul- und Grundschulpädagogik eine vorrangige Rolle, bildet diese Sinneslehre doch das Fundament für die Ausbildung von Weltvertrauen und Daseinsgewissheit.
Die „mittleren Sinne“ – Geruchs-, Geschmacks-Sehsinn, Wärmesinn – berühren am stärksten unser Gemüts- und Gefühlsleben.
Die „oberen Sinne“ - Hörsinn, Wortsinn, Gedanken und Ich-Sinn – führen den Menschen ins Innere hinein und heißen deshalb auch „Erkenntnissinne“. Leider kann an dieser Stelle nicht näher auf dies differenzierte Sinneslehre eingegangen werden. Die Sinneslehre, wie sie der Waldorfpädagogik zu Grunde liegt, kann als erweiterte Grundlage für eine Stabilisierung eines gesunden Verhältnisses zur eigenen Leiblichkeit, zur natürlichen und zur mitmenschlichen Umwelt gelten. Wir erleben heute, wie eine Verarmung von Sinnesqualitäten in einer mediengesteuerten Welt Platz greift und wie die zu Beginn der Ausführungen geschilderten gesundheitlichen Probleme auf einem defizitären Sinnes- und Leibverhältnis basieren. Die Medienkritik der Waldorfschule beruht also nicht auf einer nörglerischen, besserwisserischen Haltung, sondern entspringt tiefer Sorge um die gesundheitliche Entwicklung der Kinder.
c) und d) Wesensgliederkunde und Dreigliederung des Leibes und der Seele
Die differenzierte Menschenkunde der Waldorfschule beruht auf der Entdeckung, dass der Mensch psychologisch und physiologisch – seelisch-geistig einerseits und in den leiblichen Lebensvorgängen andererseits – dreigegliedert ist.
Die drei Bereiche sind leiblich das Nerven-Sinnes-System, das rhythmische System und das Stoff-Wechsel-Gliedmassen-System. Psychologisch korrespondieren damit die Tätigkeiten des Vorstellens, des Fühlens und des Wollens, sowie die drei Bewusstseinszustände Wachen, Träumen und Schlafen. Durch das Aufdecken dieser Bezüge überwindet Steiner die Auffassung, Psychisches sei eine bloße Funktion von neuronalen Prozessen und demzufolge im Nervensystem lokalisiert.
Didaktisch und methodisch hat dies eine Überwindung einseitig kognitiver Konzepte zur Folge: Am Lernen ist nicht nur das Nervensystem, sondern der ganze Mensch beteiligt. Am Kopfrechnen zum Beispiel ist nicht nur das Nervensystem, sondern der ganze Mensch engagiert. Bei dieser Prozedur ist die Durchblutung der Muskeln um 300% erhöht, und der Puls steigt bei angestrengtem Kopfrechnen auf 120 pro Minute, wie bei körperlicher Schwerarbeit. Bis hinein in die Immunprozesse wirkt sich das Kopfrechnen aus – ein Forschungsergebnis der Psycho-Neuro-Immunologie, einer neueren Forschungseinrichtung. Die Erfahrung lehrt, dass nur wenn alle drei Bereiche: Leib, Seele und Geist, sowie Denken, Fühlen und Handeln in den Unterricht einbezogen werden, verhindert werden kann, dass durch einseitige intellektuelle Anforderungen bei den Kindern Ängste, Nervosität und Unruhe auftreten.
Vergleichende Studien zwischen Waldorfschülern und Staatsschülern belegen die Hypothese, dass Waldorfschüler wesentlich weniger diese Krankheitssymptome aufweisen. – Mit anderen Worten: Die Methoden des Unterrichts mit Einbezug von emotionalen und leiblichen Erfahrungen erzielen nicht nur bessere Lernergebnisse, sondern auch gesundheitsfördernde Wirkungen.
Ein Beispiel: Wir erinnern uns vielleicht, wie ein Gedicht nicht nur statisch aufgesagt wird, sondern wie sich rhythmisch dazu bewegt wird, eine Zahl oder ein Buchstabe nicht nur an der Tafel erscheinen beim Lesen- und Rechnenlernen, sie werden auch groß in den Sand geschrieben oder in Ton plastiziert. Wenn man durch eine Schule dieser Prägung geht, ist viel Bewegung und „geordnete Lautheit“ auf den Fluren wahrzunehmen: In der einen Klasse wird ein Stabreim gestampft, woanders wird chorisch rezitiert. Der Wechsel von Ruhe und Bewegung, der Einklang von Nerven- und Blutpool, von Vorstellung und Willen wird gepflegt.
e) Rhythmen des Menschen
Die künstlerische Unterrichtsmethode ist die Vorgehensweise, welche der Individualität des Kindes den nötigen Entwicklungsraum gewährt. Wir Waldorfschüler haben in der Unter- und Mittelstufe erlebt, dass die rhythmische Abfolge im Hauptunterricht von rhythmisch-musikalischen und sprachlichen Teilen mit nachfolgender Phase der Konzentration und stillen Arbeiten wohltuend wirkt. Das atmende Schwingen zwischen Reflektieren und Agieren und ihrem harmonisierenden Ausgleich in der empfindenden Mitte ist ein Wesenszug dieses künstlerischen Prozesses. Dieses Vorgehen ermüdet die Schüler weniger stark und erhält die Lernfreude bis zum Ende der Schulzeit.
Aus salutogenetischer Sicht kann man sagen: Es stärkt das Kohärenzgefühl des Schülers, aber auch des Lehrers im Sinne von Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und dem Erleben von Sinnhaftigkeit der Welt in der Behandlung der Inhalte.
f) Biographisch orientierte, altersgerechte Unterrichtsmethode
Die Entwicklung des Kindes wird beschrieben in drei Jahrsiebten, die symptomatisch durch den Zahnwechsel und die Pubertät markiert werden. Jedes Jahrsiebt ist ein Durchlaufen charakteristischer und notwendiger Entwicklungsschritte: Die sukzessiv sich entfaltenden Wesensglieder (Daseinsschichten des Menschen) benötigen für eine gesunde Entwicklungsprozessen, kann eine gesunde Interaktion der vier Daseinsschichten (physischer Leib, Lebensleib, Seelenleib und Individualität) beeinträchtigen, eine Disposition für spätere Erkrankungen schaffen. Die Jahrsiebte, wie sie der anthroposophischen Pädagogik zugrunde liegen, werden oft als unpädagogische Normvorgaben missverstanden, welche einer Individualisierung der Pädagogik zuwiderliefen. Eine genaue Betrachtung gibt aber eine ganz andere Sichtweise: Der ungefähre Siebenjahresrhythmus muss als gesundendes Ordnungsprinzip in der leiblich-seelischen Entwicklung des Kindes aufgefasst werden.
Gerade im Umgang mit den durchgängig zivilisatorisch bedingten Akzelerationen und Retardationen der kindlichen und jugendlichen Entwicklung und dem deutlichen Auseinanderklaffen körperlicher und seelischer Reifeprozesse kommt der Berücksichtigung der Jahrsiebte eine neue gesundheitsfördernde Bedeutung zu. Natürlich darf die Sache mit den Jahrsiebten nicht zu starr gehandhabt werden, insofern, als es viele individuelle Abweichungen gibt: Es scheint so zu sein, dass immer mehr Kinder auf die Welt kommen, die sehr viel mitbringen, sehr früh reif, geradezu weise erscheinen: ebenso gibt es Verzögerungen, welche nicht zivilisatorisch bedingt sind. Alle diese Kinder darf man nicht in irgendeine Norm pressen wollen; vielmehr lautet die Aufgabe, sie zu verstehen.
Gerade zu erkennen, dass die Kräfte von Leib, Seele und Geist zu früh beansprucht werden für das Lernen, oder zu spät, ist wichtig. Dass die frei werdenden Lebenskräfte, die nach dem Zahnwechsel für das Lernen zur Verfügung stehen, bildsam und fließend gehalten werden durch einen künstlerischen Unterricht ist, wie gesagt, ein entscheidender Aspekt der Pädagogik und führt zur Krankheitsvorbeugung im späteren Alter. Diese Lebenskräfte sind die eigentlich gesundenden Kräfte (in der Anthroposophie werden sie auch Ätherkräfte genannt) und wir brauchen sie im Krankheitsfall, wo sie wieder organgebunden sind.
Waldorfschule und Gesellschaft
Nicht nur auf effizientes Lernen, sondern auf gesundes Lernen kommt es demnach an – die Industriegesellschaft verfolgte bisher im wesentlichen ein Wachstum, das auf der Nutzung und dem Verbrauch von Rohstoffen und Energie basierte und die Steigerung von Produktion und verbrauch materieller Güter zum Ziel hatte. Der Raubbau an den Ressourcen unseres Planeten bedeutet eine globale Bedrohung der Lebensgrundlagen. Die „Grenzen des Wachstums“ kamen, nicht zuletzt dank des gleichnamigen 1972 erschienenen Sachbuches, erst allmählich ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit und haben ein allmähliches Umdenken in Gang gesetzt. Wie der Blick auf die gegenwärtige gesundheitliche Situation zeigt, ist zur Zeit ein Raubbau an den vitalen, psychischen und geistigen Ressourcen des Menschen voll im Gange. Vor allem in der Arbeitswelt wird stärker denn je Leistungsbereitschaft, Engagement, Kreativität, Selbstständigkeit und Verantwortungsübernahme gefordert, ohne sich darüber klar zu werden, woher und wodurch die Kräfte dazu kommen und nachwachsen sollen, um diesen Anforderungen überhaupt genügen zu können.
Es zeigt sich immer deutlicher, dass Urlaub, Freizeitspaß und Unterhaltung nicht ausreichen, um den modernen Anforderungen nachhaltig genügen zu können. In diesem Falle sind es „Grenzen des Wachstums“, nicht in erster Linie von materiellen Gütern, sondern es sind seelisch-geistige Kräfte, und es stellt sich die Frage, wie und wodurch diese seelisch-geistigen Kräfte gestärkt und in ihrer Entfaltung gefördert und unterstützt werden können.
Salutogenese – das menschenkundliche, aus der Gesundheitsforschung stammende Konzept der Salutogenese geht auf Aaron Antonovsky (1923 – 1994) zurück und leitete einen Perspektivenwechsel im Bereich der Gesundheitsforschung ein. Ausgehend von der Frage, warum Menschen unter schlimmsten und ungünstigsten Lebensbedingungen gesund bleiben und sich gesund fühlen (wie etwa Frauen, die das Konzentrationslager überlebten und später in Israel, zum Zeitpunkt des Älterwerdens, untersucht wurden), fragte er nach den gesund machenden Bedingungen des Lebens. Dies steht der mehrheitlich üblichen Betrachtung diametral gegenüber, die meint, es handle sich bei Gesundheit lediglich um die Abwesenheit von Krankheit, und es erschöpfe sich das Gesundwerden in der Bekämpfung pathogenetischer, krank machender Faktoren. Die Salutogeneseforschung fragt vielmehr nach den gesund machenden Bedingungen im Leben. Gesundheit hat demnach im weitesten Sinne mit körperlicher Widerstandskraft zu tun, mit seelischer Stärke und geistiger Klarheit.
Der Hauptfaktor für die Entstehung und Erhaltung von Gesundheit ist das so genannte Kohärenzgefühl (Sense of Coherence). Es kann beschrieben werden als empfindungsmäßige Übereinstimmung eines Menschen mit sich uns seiner physischen, sozialen und kulturellen Umwelt, eine Grundhaltung der Welt gegenüber. Dieses Gefühl scheint die entscheidende Einflussgröße für den Gesundheitszustand eines Menschen zu sein und wirkt sich nicht nur psychisch, sondern auch leiblich aus. Das Kohärenzgefühl speist sich aus drei Komponenten:
1.) Das Gefühl der Verstehbarkeit (Sense of Comprehesibility)
Damit meint Antonovsky ein Vertrauen in die Fähigkeit, die Welt zu verstehen, zu einer erkenntnismäßigen Zuwendung zur Welt: „Ich vertraue darauf, dass ich die Welt und mich grundsätzlich verstehen kann als geordnet, als strukturiert, auch wenn sie mir noch weithin unbekannt ist und ich mit Fakten konfrontiert werde, welche mir chaotisch, willkürlich, zufällig und deshalb als unerklärlich erscheinen.
2.) Das Gefühl der Bewältigbarkeit, der Handhabbarkeit (Sense of Manageability)
Hiermit ist gemeint, dass das Leben und seine Erfordernisse als bewältigbar erlebt werden, Herausforderungen, die sich stellen, können angenommen werden. Die Person hat das Vertrauen, dass sie selbst oder der Partner, ein Kollege oder Gott die gestellte Aufgabe meistern können, dass wir genügend Ressourcen zur Verfügung haben, um den Anforderungen des Lebens zu begegnen. Betont wird, dass es nicht nur darum gehe, über eigene Kompetenzen verfügen zu können; auch der Glaube daran, das andere Personen oder eine höhere Macht dabei helfen, Schwierigkeiten zu überwinden, ist damit gemeint (in schwierigen Situationen bin ich nicht allein gelassen).
Der Mensch, dem diese Überzeugung fehlt, gleicht dem sprichwörtlichen Pechvogel, der sich immer aufs neue schrecklichen Ereignissen ausgeliefert sieht, ohne etwas dagegen unternehmen zu können.
3.) das Gefühl von Sinnhaftigkeit und Bedeutsamkeit
betrifft die Motivation einer Person. Sie empfindet bestimmte Dinge ihres Lebens als wichtig und sinnvoll, und dies wird nicht nur erkannt, sondern auch emotional erlebt und gefühlt. Hier geht es um das Ausmaß, in dem eine Person das Leben als sinnvoll empfindet, und um die Frage, inwieweit ein Mensch einsieht, dass Probleme und Anforderungen zum Leben dazu gehören, d.h. dass sie es wert sind, Energie in sie zu investieren und sich ihnen verpflichtet zu fühlen und somit Herausforderungen auch als Geschenk ansehen kann. Diese dritte Komponente sieht Antonovsky als die wichtigste an.
Ohne die Erfahrung von Sinnhaftigkeit und ohne positive Erwartungen an das Leben ergibt sich trotz einer hohen Ausprägung der anderen beiden Komponenten kein hoher Grad des gesamten Kohärenz-Gefühles. Ein Mensch wird das Leben in allen Bereichen nur als Last empfinden, und jede weitere sich stellende Aufgabe als zusätzliche Qual, wenn ihm dieses Erleben von Sinnhaftigkeit fehlt.
Das Gegenteil des Kohärenzgefühls – Drehen wir versuchsweise die drei von Antonovsky beschriebenen Komponenten um, kehren sie in ihr Gegenteil:
1.) Ich verstehe die Welt überhaupt nicht
2.) Ich kann nichts machen
3.) Es hat alles überhaupt keinen Sinn
Dann beschreiben wir genau das Krankheitsbild der alles lähmenden Depression.
Angesichts der starken Zunahme und Verbreitung, welche diese Krankheit erfährt – und hierzu zählt auch der Motivationsverlust beim Lernen – erweist sich Antonovskys Konzept der Salutogenese als von höchster pädagogischer Aktualität.
Es sollte gezeigt werden, dass Waldorfpädagogik von Anfang an Gesundbleiben und Erziehen als Einheit ansieht. Obwohl Antonowskys Salutogenese der empirischen Forschung entspringt, ist ihr Gesundheitsverständnis durchaus offen für spirituelle Sichtweisen. Denn Antonovsky knüpft sein Gesundheitsverständnis nicht an eine statistische Norm, sondern nimmt die Schicksalssituation des einzelnen Menschen als Ausgangspunkt. Damit fasst er allerdings etwas ins Auge, das sich der naturwissenschaftlich-soziologischen Methode entzieht: Es ist der individuelle geistige Wesenskern des Menschen. Antonovsky vermag nur zu beschreiben, wie sich das Weltverhältnis eines Menschen in gesunder Weise gestaltet, aber nicht, was dieser individuelle Wesenskern ist. So ist es nur konsequent, dass Antonovsky es vermeidet, darüber zu spekulieren; er lässt die Frage bewusst offen.
Rudolf Steiner bewegte sich aus einer deutlich anderen Richtung auf die Frage nach der Gesundheit zu, dass er sich dabei nach beinahe einem Jahrhundert mit der modernen Gesundheitsforschung trifft, dürfte die Fruchtbarkeit und Aktualität seiner Forschungsmethoden bestätigen.
Es war in alten Zeiten,
Da lebte in der Eingeweihten Seelen
Kraftvoll der Gedanke, dass krank
Von Natur ein jeglicher Mensch sei.
Und Erziehen ward angesehen
Gleich dem Heilprozess,
der dem Kinde mit dem Reifen
die Gesundheit zugleich erbrachte
für des Lebens vollendetes Menschsein.
Rudolf Steiner
* 27.02.1861 + 30.03.1925
Kraljevec/ Kroatien Dornach bei Basel
Praktische Ergebnisse
Es gibt nur wenige, oder nur vereinzelte, Studien darüber, wie stark die Pädagogik Steiners tatsächlich gesundheitsfördernd ist. Aus den letzten 25 Jahren liegen ungefähr sechs Untersuchungen zu gesundheitlichen Aspekten bei Waldorfschülern vor. Eine schulärztliche Vergleichsstudie an Waldorfklassen und Staatsschulklassen im Raum Stuttgart hat ergeben, dass bei Waldorfschülerinnen der Eintritt der ersten Regelblutung deutlich später erfolgt als bei deren Altersgenossinnen auf der Staatsschule.Es zeigte sich, dass der ermittelte Zeitunterschied von rund acht Monaten auf den Schulunterricht und nicht auf das soziale Umfeld zurückzuführen ist. In Anbetracht der Tatsache, dass eine Verfrühung in den körperlichen Symptomen der Pubertät meist einhergeht mit einer Verspätung der psychischen Entwicklung, muss dieser Befund gesundheitlich als positiv gewertet werden. Hier ist zu erinnern an eine im Jahr 1999 in Schweden durchgeführte eingehende Untersuchung über die Häufigkeit allergischer Krankheiten, früher wurde darüber eingehender berichtet.
Schüler aus zwei Waldorfschulen und zwei Staatsschulen wurden auf Allergien – wie Bronchial-Asthma, Neurodermitis und Heuschnupfen – untersucht und deren Auftreten im Zusammenhang mit dem familiären Lebensstil gebracht (Ernährungsweise, Impfungshäufigkeit, Medizin, Behandlung, sowie rhythmischer Tagesverlauf) Das deutlich geringere Auftreten allergischer Krankheiten bei Waldorfschülern – rund 50% weniger! – steht in eindeutigem Zusammenhang mit dem „anthroposophischen Lebensstil“ ihrer Familien. Da sind zu nennen: Wenig oder gar kein Einsatz von Antibiotika oder Fieber senkender Mittel, geringere Impfraten und mehr durchgestandene Masern, längere Stillzeit, vermehrter Genuss naturbelassener Nahrungsmittel – alles Faktoren, die sich nachweislich positiv auf das Immunsystem der Kinder auswirken und eine Erhöhung ihres Gesundheitspotenzials zur Folge haben.
Eine weitere Studie stammt aus dem Jahre 2000; in ihr wurde der psychosomatische Gesundheitsstatus von Waldorfschülern im Vergleich zu Staatsschülern untersucht. Dabei zeigte sich bei 12- bis 16-jährigen Waldorfschülern ein signifikant geringeres Vorkommen folgender Beschwerden:
Kopfschmerzen, Nervosität und Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten, Magenbeschwerden, Übelkeit Händezittern, starkes Herzklopfen, Appetitlosigkeit Schweißausbrüche, Kreuz- und Rückenbeschwerden, Schmerzen im Beckenraum, Schmerzen in der Brust. Bezüglich von Schlafstörungen ist statistisch kein besseres Ergebnis nachweisbar. Die Ergebnisse bestätigen, dass sich Waldorfschüler psychosomatisch besser fühlen, als es bei den Staatsschülern der Fall ist.
Die gleiche Studie weist auch nach, dass sich Absolventen von Waldorfschulen signifikant häufiger höhere oder anspruchsvollere Berufswege zutrauen, als ihre Altersgenossen aus staatlichen Schulen. Dies erlaubt, hypothetisch zu schließen auf ein gesundes Selbstvertrauen und damit auf jenes höhere Kohärenzgefühl im Sinne der Salutogenese von Aaron Antonovsky.
So erfreulich solche Ergebnisse sind, so dürfen sie trotzdem nicht hinwegtäuschen über die begrenzte Bedeutung statistischer Studien. Für eine Pädagogik, die sich am einzelnen Schicksal des Menschen orientiert, können statistische Ergebnisse niemals letzter Erkenntnisgrund sein. Es darf nicht vergessen werden, dass die Erziehungskunst steht und fällt mit den künstlerisch-pädagogischen Fähigkeiten, mit denen der Lehrer arbeitet. Der Erfolg dieser Arbeit lässt sich deshalb auch nicht durch Vergleich mit statistischen Normen messen.
Pädagogische Gesundheitsförderung im weitesten Sinne ist an sich nicht neu. Neu ist nur die Sprache, die Erkenntnisbreite, das methodische Instrumentarium für die Praxis. Gesundheitsförderung hat aber gegenwärtig eine sehr große Aktualität und Notwendigkeit.
Dr. med. Jürgen Möller, Hannover Januar 2005
Literaturhinweis
Rudolf Steiner: Allgemeine Menschenkunde, 1. Vortrag 1919
Rudolf Steiner: Jungmedizinerkurs, 1924
Aaron Antonovsky: Salutogenese, zur Entmystifizierung der Gesundheit, Tübingen 1997
Thomas Marti: Gesundheitsfördernde Pädagogik, medizinisch-pädagogische Konferenz
Zeitschrift „Medizinisch-pädagogische Konferenz“, 30/2004
Rüdiger Lorenz: Salutogenese, Ernst Reinhardt Verlag, 2004
Lyriel - 10. Jul, 13:13